Freitag, 27. August 2010

Nicaragua - das zweitärmste Land Lateinamerikas

Ich sitze im Café Latino. Draußen regnet es sehr sehr stark, wie jeden Tag während der Regenzeit. Ich schlürfe an meinem eisgekühlten Mangosaft und schreibe ein paar e-mails. Das Café wird angenehm klimatisiert, Musik dudelt von irgendwo her, wie überall hier in Nicaragua. Immer ist Musik zu hören oder irgendwelche anderen Geräusche. Plötzlich wird die Tür aufgerissen. Vier Kinder stürmen herein und rennen von Tisch zu Tisch. „Nur ein Peso, bitte!“, rufen sie laut und zeigen mit ihren kleinen Kindern gekonnt was sie wollen. Sie tragen keine Schuhe, ihre Kleidung ist kaputt. Keiner der Gäste beachtet die Kinder. Interessiert schauen sie sich die Laptops mancher Gäste an und laufen wild im Café herum. Sie kommen zu mir und wollen etwas von meinem Getränk haben. Ich gebe ihnen ein Bonbon, dann laufen sie zum nächsten Tisch. Der kleine Junge durchsucht den großen Plastikmülleimer des Cafés und fischt einen halbvollen Eisbecher heraus. Die Kellnerin scheucht die Kinder wild gestikulierend in Richtung Ausgang. Ein Junge kehrt um und versucht den Mülleimer um zuschmeißen. Gekonnt hält die kleine Kellnerin den Mülleimer fest. Dann rennen alle Kinder raus. Ich gucke ihnen nach, wie sie die befahrene Hauptstraße überqueren, ohne Schuhe. Sie verschwinden im Park und im Café ist nun wieder das Dudeln der Musik zu hören. Die Kellnerin wischt einmal durch. Keiner der Gäste schaut von seinem Laptop hoch. Ich versuche meine angefangene Mail zu ende zu schreiben, aber so richtig konzentrieren kann ich mich jetzt nicht mehr

Busfahren in Nicaragua

Wenn man in Nicaragua mit dem Bus fährt, dann ist das immer ein Erlebnis. Die Infrastruktur in Nicaragua besteht aus Bussen und Taxis, andere Verkehrsmittel gibt es nicht wirklich. Bei den Bussen, die hier fahren, handelt es sich um die alten amerikanischen Schulbusse, die vor Jahren in den USA Kinder zur Schule brachten. Jetzt fahren diese Busse hier. Viele von ihnen sind bunt angemalt, wie die meisten Dinge hier. Von innen sind sie meistens mit bunten Stickern von Heiligen oder mit Kreuzen geschmückt. “Herr, beschütze diesen Bus und seine Fahrgäste!”, steht in großen bunten Buchstaben über dem Fenster geschrieben. Die Sitze in diesen Bussen sind Kindergrößen angepasst, was die Nicas scheinbar wenig stört, denn sie sitzen häufig zu viert oder zu dritt auf zwei Plätzen, gerne auch mal übereinander. Und wenn man keinen Platz mehr bekommt, dann muss man halt die Fahrt, oft auch mehrere Stunden über, im engen und niedrigen Gang stehen und sich irgendwo etwas zum Festhalten suchen. Das Gepäck passt natürlich nicht immer in die kleinen Fächer über den Sitzen. Da kann es sein, dass zum Beispiel in einer scharfen Kurve ein Koffer aus der Halterungen fällt. Größere Sachen werden auf dem Dach der Busse befestigt. Die Leute transportieren gerne allerhand Sachen per Bus. Sie nehmen zum Beispiel ganze Holzstapel mit, riesige Tontöpfe, aber auch Tiere so wie Hühner oder Schweine. Natürlich wird auch die Busfahrt über laut Musik gehört. Latino Songs mischen sich mit amerikanischen und auch mit sehr alten Charts-Liedern. Alles wild durcheinander und wenn man ein Lied so halbwegs erkennt, dann singt man mit, so wie man es eben gerade versteht. Die Straßen sind hier nicht immer unbedingt im besten Zustand, die Busse sind alt und meistens überfüllt, ca 90 Leute in einem Bus. Das Tempo ist an manchen Steigungen nur ein wenig schneller als zügiges Schritttempo. Leute steigen immer wieder zu oder aus, gerne auch wenn der Bus noch fährt. Ein Mann quetscht sich durch den engen Gang und sammelt von jedem das Geld ein, umgerechnet ungefähr zwei Euro für eine Langstreckenfahrt von zwei Stunden, haben ich und Janek letztes Wochenende gezahlt. Wenn der Bus anhält schreit der Mann laut, wo der Bus hinfährt und dass man schnell zusteigen soll. Er schiebt neue Fahrgäste in den Bus und schreit dann durch den ganzen Bus dem Fahrer zu, er solle weiterfahren. An den “Haltestellen” steigen immer wieder Frauen ein, die Essen oder etwas zu Trinken verkaufen. Gekonnt balancieren sie die gefüllten großen Plastikschüsseln auf ihren Schultern oder Köpfen und schlängeln sich durch den vollen Bus. Wenn er anhält springen sie schnell wieder raus.
Nach zwei Stunden Fahrt kommen ich und Janek dann an unserem Ziel an. Wir sind glücklich, endlich aus dem engen und heißen Bus heraus zu kommen. Aber irgendwie hat es was, so zu reisen und die schöne Landschaft Nicaraguas aus den kleinen Fenstern zu bewundern.

Sin agua - sin luz

Wie es sein kann ohne Strom und besonders ohne Wasser aus kommen zu müssen, darüber habe ich mir noch nie wirklich ernsthafte Gedanken gemacht. Für mich war es bis jetzt immer selbstverständlich, dass wenn ich auf den Lichtschalter drücke, dann auch das Licht angeht oder wenn ich den Wasserhahn aufdrehe, dort auch wirklich Wasser heraus kommt. Das ist in Nicaragua nicht immer unbedingt so. Als ich zum Beispiel gestern nach dem Kochen abspülen wollte, gab es leider kein Wasser. Und das zwar für einen halben Tag nicht. Wenn es hier regnet und das tut es während der Regenzeit mindestens einmal am Tag, kommt meistens so viel Wasser runter, dass die Abflüsse und die Kanalisation es oft nicht aufnehmen können. (Dass, haben wir zum Beispiel auch festgestellt, als wir eines Tages nach Hause kamen und die halbe Wohnung bis zu ca. 30cm unter Wasser stand. Keine schöne Angelegenheit!) Bei Regen wird also oft das Wasser abgestellt, damit die Abflüsse nicht noch stärker belastet werden. Gestern hatte es allerdings nicht geregnet und als ich fragte, warum es denn gerade kein Wasser gibt war die Antwort: „Wahrscheinlich weil die Regierung Wasser sparen möchte, oder so…“ Wie es ist für längere Zeit ohne Wasser leben zu müssen habe ich hier gestern zum erstenmal wirklich gemerkt und halt auch wie wichtig und wie selbstverständlich es für mich ist Wasser zur Verfügung zu haben. Man braucht es einfach für so viele Dinge. Zum Waschen, zum Spülen, für die Toilette, zum Kochen, zum Zähneputzen… Und wenn es kein Wasser gibt, dann kann man all diese Dinge nicht tun, für einen halben Tag. Als wir dann abends zum hundertsten Mal versucht haben den Wasserhahn aufzudrehen, lief endlich Wasser. Zwar nur sehr wenig, aber es gab Wasser! Wir freuten uns so sehr, dass wir durch die Küche tanzten. Heute habe ich gehört, dass die Wassersituation in der Stadt halb so schlimm ist. Auf dem Land und in den Dörfern, kann es oft vorkommen, dass die Menschen dort für mehrere Tage und länger ohne Wasser auskommen müssen. Sie sammeln Regenwasser in großen Tonnen, damit sie in solchen plötzlichen Momenten vorbereitet sind. Das werden wir ab jetzt wohl auch tun. Genauso haben wir bereits jedes Zimmer mit Kerzen ausgestattet, denn der Strom fällt hier auch öfter mal aus. Aber es kann auch sehr nett sein bei Kerzenschein abend zu essen. Schwierig wird es allerdings, wenn man versucht Nudeln mit Tomatensoße zu essen.

Der erste Tag im Projekt

7.08  Ich mache mich auf. Laufe zur „calle central“ herauf und rufe mir ein Taxi. „Hasta la escuela Wuppertal, por favor.“ Der Taxifahrer nickt und kutschiert mich durch die Straßen Matagalpas. Es ist viel Verkehr, die Straßen sind fast alle kaputt und er fährt sehr schnell. Menschen, Motorräder, Busse, Tiere, Obstverkäufer, Fahrräder tummeln sich auf den engen Straßen. Das ein oder andere Mal denke ich, dass wir einen Unfall bauen und zucke innerlich zusammen. Der Taxifahrer scheint aber an den Verkehr auf den engen Straßen gewöhnt zu sein und alles läuft gut.
Wir biegen in die Straße ein in der meine Schule liegt. Die Escuela Pública Wuppertal, ist eine sehr kleine Schule, außerhalb von Matagalpa, in einem armen Viertel gelegen.
Etwas nervös betrete ich durch das große Eisentor die Schule und werde sofort von der Direktorin herzlichst begrüßt. Sie küsst mich, umarmt mich und nennt mich mi corazón.
Ich sage, dass ich mich sehr freue hier zu sein und wir gehen in ihr Büro, der einzige Raum der Schule, neben den paar Klassenzimmern. Das Büro ist klein und voll gestopft mit Dingen. Es gibt einen Schreibtisch, Regale und einen Computer. Ich setze mich auf einen der Plastikstühle. Immer wieder kommen Lehrerinnen herein oder Kinder. Ich stelle mich immer wieder vor. Sie sind sehr nett, begrüßen mich herzlich, reden viel und schnell. Ich verstehe sie ein bisschen, aber selber reden fällt mir schwer. Das merkt auch die Direktorin und wir beschließen, dass es wohl besser ist, wenn ich mich in den ersten Wochen auf den Sprachkurs zu konzentriere, bevor ich anfange Sport und Englisch zu unterrichten.
Dann werde ich durch die Schule geführt. Die Klassenzimmer sind klein, alles ist sehr dunkel, es gibt keine Fenster, nur Gitterstäbe und man hört den Lärm jeder einzelnen Klasse.
Wir gehen in die erste Klasse, die Kinder stehen auf und begrüßen uns im Chor. Dann werde ich vorgestellt. Ich bin die neue profe, profe Maren. Mit der Aussprache meines Namens haben sie Schwierigkeiten.
Maren ist nicht aus Nicaragua, ratet mal wo sie herkommt.“ fragt die Direktorin in die Klasse herein. „ Aus China“, schreit der Erste. „Nein, sie ist aus Korea“ vermutet ein Anderer, „aus Managua“, „aus den USA“ , sind weiter Vermutungen der Kinder. „Sie kommt aus Deutschland,“ erklärt die Direktorin „sie ist bei uns für ein Jahr und sie ist unsere Freundin“.
Dann singen alle Kinder im Chor, dass sie mich willkommen heißen, bei ihnen in der Schule und in Nicaragua. Ich bin ein wenig überwältigt, bedanke mich tausendmal und klatsche einfach mal mit. Dann fragt die Direktorin weiter. „Wie glaubt ihr ist sie den weiten weiten weg zu uns gekommen?“ Nach einem Moment der Stille sagt ein sehr kleiner Junge leise „Vielleicht mit einem Flugzeug?“Genau“ ruft die Direktorin. „ Und findet ihr, dass profe Maren schön ist?“ fragt die Direktorin weiter. „Ja“ rufen die kleinen Kinder im Chor. „Was ist an ihr schön ?“ Ist die nächste Frage der Direktorin. Die Kinder gucken mich erst ein wenig ratlos und dann gründlich von oben bis unten an. Ein Mädchen sagt „Ihr T-shirt!“ „Ja, ihr T-shirt und was noch…?„Die Augen.“, ruft ein Anderer.Und was ist sie?“ „Unsere Freundin“ rufen die Kinder zusamen. Dann springen sie weiter herum und rufen goodbye oder good night.
Die Direktorin schiebt mich weiter und wir gehen in die andern Klassen. Als wir mit allen durch sind setzten wir uns wieder in ihr Büro. Dort hängt ein großes Poster, sehr bunt, vor allem pink. Ob ich den Mann darauf kenne, fragt sie mich. Ich sage, schüchtern „Daniel Ortega, oder?“ Und sie schaut mich zufrieden an. Dann soll ich ihren Computer bewundern, auf den scheint die Direktorin sehr stolz zu sein. Sie zeigt mir Fotos und fragt mich wie man die Bilder größer machen kann, so dass sie den Bildschirm ausfüllen. Ich klicke auf das Bild, es erscheint über den Bildschirm und sie guckt mich glücklich an. Und jetzt wieder zurück, auch das klappt und das Foto wird kleiner. Dann zeigt sie mir, dass ihr Drucker nicht funktioniert. Warum fragt sie mich. Ich schraube ein bisschen an dem Gerät herum, gucke auf die Einstellungen. Alles auf Spanisch, ich verstehe fast nichts. Ich sage ihr, dass ich nicht weiß warum er nicht funktioniert und sie guckt ich ein wenig enttäuscht an. Gerne würde ich ihr helfen, aber mit Computern kenne ich mich nicht wirklich gut aus.
Wir reden noch ein wenig beziehungsweise sie redet und ich nicke ab und zu. Dann kommt ihre Tochter. Sie ist ein bisschen älter als ich und studiert in Matagalpa. Sie ist sehr nett und sagt, dass sie mir gerne Matagalpa zeigen würde. Ich verabschiede mich also von der Direktorin und hoffe, dass ich in ein paar Wochen schon mehr verstehen und vor allem Sprechen kann.
Dann zeigt mir die Tochter der Direktorin meinen Schulweg nach Hause. Sie ist sehr nett und gemeinsam schlendern wir durch die Straßen Matagalpas. Wir gucken uns ein paar Kirchen an, essen Eis und schauen beim Fußballspiel zu. Es macht Spaß sich mit ihr zu unterhalten, auch wenn meine Sätze sehr gebrochen sind und wahrscheinlich nur wenig Sinn machen. Aber ich bin froh erste nicaraguanische Kontakte knüpfen zu können.

Erste Eindrücke

Liebe Leute,
nun bin ich schon seit drei Wochen in Matagalpa und endlich schaffe ich es euch ein wenig aus meinem Leben hier zu berichten.
Ich bin gut in Nicaragua angekommen, auch wenn es in Miami ein bisschen Stress mit den amerikanischen Beamten gab. Sie wollten mich und Antonia nicht durchlassen, weil wir angeblich die falschen Papiere hatten, was nicht stimmt. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie habe ich sie nach einer sehr langen Diskussion überzeugen können, so dass wir doch noch in letzter Minute unser Flugzeug nach Managua bekommen haben. Allerdings mussten wir dafür (nach dem Sicherheitscheck) auf Socken durch Miami laufen;-)
Unsere Wohnung hier liegt sehr zentral in Matagalpa und man kann fast überall hin laufen, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass die Stadt relativ überschaubar ist.
Ich fühle mich momentan wirklich sehr wohl hier in Nicaragua. Für mich ist es gerade super spannend jeden Tag etwas neues zu entdecken und kennen zu lernen, denn das Leben und die Kultur hier ist ziemlich anders, von allem was ich bis jetzt so kenne.
Die ersten Wochen sind besonders durch Ankommen und Orientieren geprägt, ein Prozess der sich in verschiedenen Formen wohl durchs Jahr ziehen wird.
Es gibt/gab so viele neue Eindrücke, die ich wahrscheinlich auch noch nicht alle verarbeitet habe. Ich habe aber einige von ihnen aufgeschrieben, weil ich glaube, dass ihr dadurch vielleicht ein besseres Bild von meinem Leben hier erhaltet. Obwohl man bestimmte Erfahrungen oder Momente nicht so erklären kann, wie sie sich wirklich anfühlen. Versuchen werde ich es aber trotzdem.
Ich hoffe es geht euch allen gut!
Besos Maren

Montag, 2. August 2010

Gedanken kurz vor der Reise

So langsam wird mir immer mehr bewusst, dass ich bereits in wenigen Tagen, viele viele Kilometer von hier, in einem unbekannten Land, einer unbekannten Stadt und in einer bislang unbekannten Kultur ankommen werde. Aber so richtig greifbar und realisierbar scheint dieser Gedanke trotzdem noch nicht, obwohl ich der Situation durch den Ausreisekurs der letzten zwei Wochen, deutlich näher gekommen bin. Ich frage mich, wie mein neues Leben wohl aussehen wird, außerhalb meiner  vetrauten Umgebung. Nervösität spüre ich in mir aufkommen, die Vorfreude ist auf der anderen Seite aber um so größer. Ich kann es kaum erwarten, die Welt wieder ein Stückchen weiter entdecken zu können und die Chance zu haben, neue, wertvolle, ganz eigene Erfahrungen machen zu können. Vielleicht kann man die Situation mit einem Fallschirmsprung vergleichen. Es ist ein aufregendes Gefühl zu wissen, dass ich in nur drei Tagen, aus unbekannter Höhe ins Freie  springen werde, gleichzeitig freue ich mich schon riesig auf die weite Aussicht. Und wo ich am Ende landen werde….tja, das wird sich dann zeigen. Spätestens in einem Jahr!